Die Neugründung & Entwicklung der Schützengesellschaft
Erst 1824, nach den Wirren der napoleonischen Kriege und dem Ende der hessisch - darmstädtischen Herrschaft, wurde ein neuer Verein gegründet, der sich diesmal Bürger - Schützen - Bruderschaft zu Warstein nannte. Das Wort Schützengesellschaft taucht dann aber sofort wieder im ersten Paragraphen des Gründungsstatuts auf. In diesem Statut, das 24 Paragraphen umfasst, wird das Leben der Bruderschaft bis in kleinste Einzelheiten geregelt. Insbesondere der Schützenfestablauf, das Vogelschießen und die Teilnahme an der Pfingstmontags- und Dreifaltigkeitsprozession werden ausführlich beschrieben. Interessant ist es, hier zu erfahren, dass jeder Schütze sein eigenes Gewehr zum Vogelschießen mitbrachte, das er aber zunächst vom Hauptmann und seinen Offizieren auf die Sicherheit überprüfen lassen musste.
Ein Schmunzeln lässt sich sicher nicht vermeiden, wenn man den Paragraphen 18 liest: „Dem Hauptmann und den Führern liegt es besonders ob, ohnnachsichtig darauf zu halten, daß ... Nicht minder auch, daß auf dem Tanzsaale ein ruhiges und anständiges Betragen beobachtet, keiner mit einem Kittel bekleidet, darauf zu lassen, und kein Tanzen mit bedecktem Kopf oder Pfeife im Mund gestattet, und die vorgeschriebene Tanz - Ordnung genau befolgt werde.“
Interessant ist schließlich auch der Paragraph 22, in dem es um die Rechte und Pflichten des Königs geht: „... Der König erhält, außer daß er frei vom Gelage ist und das Ehrenzeichen während des Festes tragen kann, eine auf Kosten der Gesellschaft angeschaffte Medaille im Werthe von zwei Rthlr. Dem König steht es frei, der Gesellschaft zum Andenken seines errungenen Sieges eine silberne Denkmünze an das Ehrenzeichen des Königs zu schenken. Weitere Ausgaben sollen bei dem Königsein nicht verbunden sein.“
Diese Statuten erfuhren dann im Jahre 1839 eine Veränderung, denn der damalige Vorstand war mit der zu geringen Beteiligung der Schützenbrüder am Zug zur Vogelstange nicht einverstanden. Bei Strafe von 10 Silbergroschen wurde jeder Schützenbruder verpflichtet, sich am Pfingstmontag nach der Prozession dem Zug vom Rathaus zur Vogelstange anzuschließen, um dem Vogelschießen beizuwohnen.
1829 machte die Stadt Warstein folgende Angaben über die Schützengesellschaft an die preußische Regierung:
1. Das Schützenfest wird im Rathaus zu Warstein gefeiert.
2. Die Schützengesellschaft setzt sich aus der Warsteiner Bürgerschaft zusammen.
3. Als Jahr der Einstellung wird hier das Jahr 1800 genannt.
4. Als Jahr und Datum der Erneuerung wird der 28. Februar 1825 angegeben.
5. Als Tage der Dauer des Schützenfestes werden Pfingstmontag, Pfingstdienstag, sowie der Dreifaltigkeitssonntag und -montag angegeben und zwar jeweils bis abends neun Uhr.
6. Das Vermögen der Gesellschaft besteht aus einer alten und einer neuen Fahne, außerdem werden noch verschiedene andere Gegenstände genannt.
7. Die Jahresbeiträge richten sich nach den Bedürfnissen und danach, ob mehr oder weniger Mitglieder am Fest teilgenommen haben.
8. Die Anzahl der Mitglieder wird mit 122 angegeben.
1829, also vier Jahre nach der Neugründung, erfahren wir aus einem Schriftwechsel des Vereins mit der Stadt Warstein interessante Einzelheiten über die Vermögensverhältnisse der 1796 aufgelösten Schützen Compagnie. Die Stadt Warstein gewährt dem Verein nämlich einen Zuschuß zur Anschaffung einer neuen Fahne mit der Begründung, daß ihr ja seinerzeit das Vermögen der Compagnie im Werte von 126 Reichstalern zugefallen sei. Dieses Vermögen bestand aus einem Garten auf dem Kohlmarkt, einem Grundstück in Hirschberg und aus angelegten Kapitalien, die zum Beispiel in der Stadtrechnung 1826/27 aufgeführt sind.
1832 übernimmt die Stadt die Kosten für Orchesterplätze und die Anschaffung neuer Sitze für den Rathaussaal, um das Schützenfest dort besser feiern zu können.
Schon 1846 wurden die oben angeführten Statuten einer grundlegenden Revision unterzogen. In der Präambel heißt es nämlich: „Die der hiesigen Schützengesellschaft gehörigen, im Jahre 1824 entworfenen Grundstatuten, haben in der langen Zeit soviel Umänderungen erlitten, daß sich der zeitige Vorstand veranlaßt fand, die früheren Statuten nebst den hinzugekommenen Veränderungen auf's neue zu ordnen.“
Da in der „Chronik der Bürgerschützengesellschaft Warstein“ ausführlich auf den Inhalt dieser Statuten eingegangen wird, will ich mich hier auf einige wichtige Einzelheiten beschränken. An der Spitze der Gesellschaft stand ein Hauptmann. Sechs Führer und zwei Fähnriche vervollständigten den Vorstand. Das Schützenfest wurde am Pfingstmontag, Pfingstdienstag und am Dreifaltigkeitstage gefeiert. Die Paragraphen 28 bis 46 regeln ausführlich bis in Einzelheiten den Festverlauf und das Vogelschießen. Interessant sind noch die in den Paragraphen 47 bis 49 aufgeführten Strafbestimmungen, von denen ich hier einige zitieren möchte. „Die Strafen, welche gegen die Schützenbrüder verhängt werden können, sind:
1) Geldstrafen.
a) wer mit Vorsichtigkeit oder Muthwillen Bier verschüttet, verfällt in eine Strafe von 2½ bis 5 Sgr.
b) wer während des Festes in Gläsern Bier unten auf der Flur verschenkt, verfällt in eine Strafe von 5 Sgr.
c) wer in der im §. 30 näher beschriebenen Uebung nicht erscheint, verfällt in 5 Sgr. Strafe.“
Dieser Paragraph 30 beinhaltet ein Exerzierreglement für eine Gruppe von 24 ausgesuchten Schützenbrüdern nebst Vorstand und Führern. Er sei hier noch einmal wörtlich zitiert: „Während vier Wochen vor dem Feste versammeln sich die 24 Schützen nebst dem Schützen - Vorstand und Führer, welche dann alle schon 8 Tage vorher bestellt worden sind, auf dem Rathaus - Saale zur Uebung mit den Gewehren und des Marschierens; dies geschieht auch am Pfingstsonntag=Nachmittag nach beendigtem Gottesdienste; an diesem Tag wird jedoch von der Gesellschaft für diese ein Anker Bier (1 Anker Bier sind ungefähr 40 Liter) gegeben. Wer ungeachtet der Bestellung an diesem Tage ausbleibt, verfällt in die im §. 47 gesetzte Strafe. Sodann begleitet der ganze Zug an dem letztgedachten Tage mit den 6 Führern unter Musik und Trommelschlag, jedoch abwechselnd, die Fahnen nach der Wohnung der Fähndriche.“
Die preußische Regierung war nicht immer mit der teilweise sehr ausgelassenen Feier des Schützenfestes in den Städten und Dörfern einverstanden. Sie erließ nämlich 1846 folgende Verfügung: „... hat die Königliche Regierung untersagt, daß den Teilnehmern bei den Festen das Getränk auf Kosten der Vereinskasse verabreicht wird. Dadurch sollen Unregelmäßigkeiten und Völlerei abgestellt werden. Jeder Teilnehmer soll seine Zeche selbst bezahlen. Der Schützenvorstand hat dafür Sorge zu tragen, daß die angemessenen Güter (Bier und Essen) für billigen Preis zu haben seien, damit auch die ärmeren Volksklassen am Schützenfest und am Gelage teilnehmen können. Wenn dies nicht der Fall ist, und die unteren Volksklassen nicht am Schützenfest teilnehmen können, können die Schützenfeste ganz untersagt werden.“ 1858 folgt noch eine weitere Verfügung, in der es heißt, daß der Ausschank von Branntwein und ähnlichen Spirituosen gänzlich untersagt wird. Wünschenswert wäre es auch, die Sitte oder vielmehr Unsitte des Freibiers, die bei der Feier vieler Schützenfeste besteht, gleichzeitig zu beseitigen. Auch sollte das Fest nicht länger als zwei Tage dauern.
In die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts fällt auch der Bau der Schützenhalle auf dem Herrenberg. Als Warstein noch ein geruhsames Ackerbürgerstädtchen war, wurde das Schützenfest im Rathaus gefeiert, das wohl genügend Platz für alle Feierwilligen bot. Mit der Industrialisierung und dem damit verbundenen Anstieg der Bevölkerung reichte der Platz aber nicht mehr aus. (Einwohner in Warstein 1800: ca. 1200, 1850: ca. 2700) Ein Festzelt war nicht so komfortabel und eine etwas unsichere Angelegenheit, da es zweimal durch einen Sturm zerstört wurde. So wurde dann in den Jahren 1851 und 1852 unter großen Opfern der Schützenbrüder auf dem von der Stadt zur Verfügung gestellten Grundstück die Schützenhalle erbaut. 1500 Taler kostete der Neubau Sie war 45 mal 15 Meter groß, was in etwa der Fläche des heutigen großen Saals entspricht. An der Spitze des Vereins stand damals der Gewerke Wilhelm Bergenthal, der den Neubau finanziell unterstützte, indem er dem Verein ein Darlehen gewährte, das mit vier Prozent verzinst werden sollte. Die Stadt stellte das Bauholz „zu einer ermäßigten Taxe zur Verfügung.“ In der folgenden Zeit wurde die Halle durch Um- und Anbauten ständig erweitert, bis 1928 der kleine Saal die Vergrößerungsphase abschloß. 1600 Quadratmeter betrug die Grundfläche des Gebäudes damit und bot auch der stark angewachsenen Bevölkerung Warsteins eine für alle Zwecke geeignete Feststätte. Diese alte Schützenhalle ist 1945 durch Brandstiftung zerstört worden und mußte in den folgenden Jahren komplett wiederaufgebaut werden. Wir werden weiter unten noch davon hören.
Ab 1850 greifen staatliche Stellen immer stärker auch in den Ablauf der Schützenfeste ein. Die größte Kritik richtet sich dabei gegen die zum Teil sehr lange Dauer der Schützenfeste. Per Regierungserlaß wird im Jahre 1858 die Dauer auf zwei Tage begrenzt. Die beiden Warsteiner Vereine stellen daraufhin 1863 einen Antrag auf Verlängerung des Festes auf drei Tage. Diesem Antrag wird entsprochen, wohl auch deshalb, weil die Feier des Schützenfestes immer auch mit religiösem Brauchtum (Prozessionen) verbunden war. Beschwerden kommen aber auch von kirchlicher Seite. Trinkgelage und Tanzlustbarkeiten sind der damaligen Geistlichkeit wohl ein Dorn im Auge. 1838 beispielsweise wird von einem unbekannten Denunzianten beim erzbischöflichen Generalvikariat Beschwerde darüber geführt, daß die Schützen die Pfingstprozession mit Musik und Trommelschlag begleiten und die Eucharistie mit dem Hut auf dem Kopfe begleitet werde. Bürgermeister Gutjahr stellt in einem Brief an die bischöfliche Behörde klar, daß dies ein uralter Brauch sei und die Feierlichkeit des Geschehens durch die Anwesenheit der Schützen erhöht werde. Pfarrer Aufenanger (Pfarrer von 1842-1859) schlägt zum Beispiel vor, die Schützenhalle in ein Krankenhaus umzubauen, dann sei das Gebäude einem würdigeren Zweck zugeführt.
Aber alle diese Schwierigkeiten können die Entwicklung des Vereins nicht aufhalten und gegen Ende des Jahrhunderts kann man durchaus von einer Blütezeit des Schützenwesens in Warstein sprechen. Das sieht man allein schon daran, daß bedeutende Persönlichkeiten der Stadt immer wieder als Vorstandsmitglieder oder als Könige der Gesellschaft in Erscheinung treten. Hier sind zum Beispiel Mitglieder der Familien Bergenthal, Peus (Warsteiner Gruben- und Hüttenwerke), Schmitz (Amtmann) und Cramer zu nennen. Das Königspaar Schmitz/Peus schenkt dem Verein 1890 ein Diadem für die Königin. In diese Zeit fällt auch die Gliederung der Schützengesellschaft in Kompanien. Wir erfahren aus den Unterlagen des Vereins, daß z. B.1869 eine neue Pankratiusfahne (Nordkompanie), 1886 eine neue Fahne für die Ostkompanie angeschafft wird. 1897 schenkt die Brennerei Anton Bergenthal der Südkompanie eine neue Fahne. In diese Zeit, gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, fällt auch die Ausprägung des Festablaufs, so wie er heute noch praktiziert wird. Ich denke dabei besonders an die Form der Umzüge und vor allem der Parade auf dem Marktplatz. Preußische Militärtradition hatte hier wohl Pate gestanden. Von der der militärisch zackigen Parade früherer Zeiten ist allerdings heute nicht mehr das meiste zu sehen. Das Paradieren wird locker gehandhabt und nicht mehr so tierisch ernst genommen. Wohl gerade deshalb konnte sich diese Form bis in unsere Zeit erhalten und gilt immer noch als einer der Höhepunkte der alljährlichen Schützenfeste.